Was ein UX Review kann, am Beispiel von opdendata.swiss

Ein UX Review ist eine preiswerte Methode, die Usability einer Anwendung oder einer Website zu beurteilen. Wir zeigen hier am Beispiel von opendata.swiss, was ein solcher Review kann, wie die Resultate aussehen, und wo die Grenzen eines solchen Reviews liegen. Timo Würsch,
  • 1 - Methodik: UX Review

    Ein UX Review (Auch UX Expert Review genannt) ist eine Methode, bei der ein UX-Experte eine Anwendung oder Website analysiert, mit dem Ziel, Usability-Stärken und -Probleme zu identifizieren.

    Der grösste Vorteil an einem solchen Review ist sein Preis-Leistungsverhältnis: Innert relativ kurzer Zeit (ca. 3 Tage) findet man damit die wichtigsten Usability-Probleme. Nachteil ist, dass er die persönliche Erfahrung des Reviewers widerspiegelt und deshalb persönlich eingefärbt sein kann. Deshalb ergänzt man einen solchen Review idealerweise mit Nutzer-Interviews.

    Wir haben uns für diesen Review für die Open-Data-Plattform opendata.swiss entschieden: Erstens, weil die Plattform öffentlich zugänglich ist, und zweitens, weil wir denken, dass offene Daten wichtig für eine funktionierende Gesellschaft sind.

    2 - Anwendungsfälle

    Ein UX Review wird entlang von Anwendungsfällen durchgeführt, die aus Sicht des Nutzers formuliert sind. So kann sich der Reviewer realistisch in das Nutzerverhalten eindenken. Wir stützen uns bei diesem Review auf diese Anwendungsfälle:

    1. Gezielte Suche: Ich möchte Inflation, Bruttoinlandprodukt, Bevölkerungswachstum und Beschäftigung nach Sektor visualisieren und suche dazu Daten.
    2. Teilweise explorative Suche nach Kanton: Ich möchte wissen, welche offenen Daten es zu den Kantonen Basel-Stadt und Schaffhausen gibt.
    3. Vollständig explorative Suche: Ich möchte wissen, welche Daten es auf opendata.swiss zu finden gibt.
    4. Unterstützung bekommen: Ich möchte wissen, was ich tun kann, falls ich einen Datensatz nicht finde.

    In allen Fällen ist das Ziel, Daten als Excel- oder CSV-Datei zu erhalten.

    Es empfiehlt sich, die Anwendungsfälle vor dem Review mit Nutzern abzustimmen, um ein möglichst realistisches Bild zu erhalten. Wenn es schnell gehen muss, ist es auch möglich, die Anwendungsfälle auf Annahmen zu basieren. Das haben wir in diesem Fall getan.

    3 - Die wichtigsten Resultate

    • Es sind viele Datensätze vorhanden, aber dennoch sehen wir Verbesserungspotenzial bei den Inhalten. Zwar sind interessante und aktuelle Daten zu finden, die Auswahl scheint aber eher zufällig. Wir haben auch Inhalte gefunden, die wir nicht auf opendata.swiss erwartet hätten.
    • Such- und Navigationsmechanismen sind vorhanden, können aber noch verbessert werden. Dies betrifft insbesondere die Optimierung für Suchmaschinen (SEO), Verbesserungen an der internen Suche und an den Schlagwörtern.

    4 - Inhalte: Interessantes, Aktuelles, Lücken und Unerwartetes

    Basierend auf den obengenannten Anwendungsfällen haben wir einen Teil der Inhalte näher betrachtet. Uns ist dabei aufgefallen:

    • Beim "einfach mal reinschauen" haben wir, nach etwas Herantasten, interessante und aktuelle Datensätze gefunden, z.B. von der Volkszählung oder zu Unternehmen. Problematisch ist, dass man die eigentlichen Datensätze oft erst findet, wenn man nach dem CSV- oder Excel-Dateiformat filtert. Dennoch wäre es gut, wenn man durch die Inhalte mehr “Lust auf mehr” bekäme, was dem Portal leider nur ansatzweise gelingt.
    • Datensätze, die wir auf opendata.swiss erwartet haben und die wir gezielt gesucht haben, konnten wir nur zum Teil finden. Beispiele: Den Datensatz zum Bruttoinlandprodukt haben wir relativ schnell gefunden. Daten zur Bevölkerungsentwicklung und zur Inflation konnten wir hingegen nicht finden, obwohl wir davon ausgehen, dass beide Datensätze vorhanden sind.
    • Wir haben einige Inhalte gefunden, die wir auf einem Open Data Portal nicht erwartet hätten, z.B. Publikationen wie das Statistische Jahrbuch der Schweiz oder die Beschreibung der (Neu-)Gewichtung des Landesindex der Konsumentenpreise im Jahr 2020. Diese Inhalte sind keine Datensätze, aber als Datensätze abgelegt. Es hängt von der Inhaltsstrategie ab, ob solche Inhalte auf opendata.swiss publiziert werden sollen. Wenn ja, muss es für den Nutzer klar sein, dass es sich um Publikationen, und nicht um Datensätze handelt.
    • Insgesamt wirkt die Auswahl der vorhandenen Datensätze eher zufällig. Dafür sehen wir zwei mögliche Erklärungen:
      • Es fehlt eine praktikable Inhaltsstrategie, oder sie ist vorhanden, wird aber nicht umgesetzt.
      • Wegen dem Publikationsaufwand scheint es plausibel, dass hauptsächlich Organisationen und Kantone Daten auf opendata.swiss publizieren, welche diese Daten bereits für ihre eigenen Datenportale aufbereiten.

    Eher zufällig erscheinende Auswahl der Datensätze auf der Seite Daten

    Abb. 1: Eher zufällig erscheinende Auswahl der Datensätze auf der Seite Daten

    • Grundlegende Kontaktmöglichkeiten sind vorhanden, sollten aber für besseres Feedback ausgebaut werden. Die Kontakt-Seite, Kontaktinfos bei Datensätzen, und die Organisationsseiten bieten Möglichkeiten, mit den Datenpublizierenden in Kontakt zu treten. Dennoch wären mehr niederschwellige Kontaktmöglichkeiten sinnvoll, z.B. mit einem Kontaktformular bei den Datensätzen. Dies würde es erleichtern, Feedback von Datennutzenden zu erhalten.

    5 - Zugänge: Verbesserungspotenzial bei Auffindbarkeit, Suche, Navigation und Schlagwörtern

    Auch die besten Inhalte sind nutzlos, wenn man sie nicht findet. Die Nutzer verwenden dazu bei Websites:

    1. eine Suchmaschine wie Google,
    2. die interne Suche, und
    3. die Navigation.

    Im Regelfall ist die Suchmaschine das populärste Mittel. (Den Zugang via Katalog-API haben wir aus Gründen der Einfachheit nur kurz getestet. Da die Inhalte dieselben sind, gehen wir davon aus, dass viele unserer Erkenntnisse auch für den API-Zugang zutreffen.)

    Was wir gefunden haben:

    • Die Auffindbarkeit von Datensätzen ist generell stark verbesserungswürdig, unabhängig davon, ob der Nutzer Google, die interne Suche oder die Navigation nutzt. Das liegt sicher an der Auswahl der Inhalte, aber auch an Wortwahl in Texten und Titeln. Hinzu kommt der Aufbau der Navigation, die Funktionsweise der internen Suche, und die Tatsache, dass sich Kategorien, Organisationen und Schlagwörter funktionell überschneiden (siehe Abbildung 5 unten).
    • Einige Datensätze sehen von weitem passend aus, enthalten bei näherer Betrachtung aber nicht das Erwartete. Ein Beispiel dafür sind die Datensätze Bevölkerung und Bevölkerung [Pers.]. Sie beinhalten jeweils Bevölkerungsdaten für die Kantone Basel-Stadt und Zürich. Die Suchresultat-Seite zeigt bei beiden Datensätzen die Organisation an, was hilfreich ist:

    bevoelkerung-suchresultat-annotiert

    Abb. 2: Angabe der Organisation auf der Suchresultat-Seite liefert Hinweis auf die geografische Abdeckung eines Datensatzes

    • Auf der Detailseite hingegen ist nicht offensichtlich, dass der Datensatz nur eine spezifische Region abdeckt:

    Detailseite eines Datensatzes: Titel und Beschreibung alleine liefern keinen Hinweis auf die geografische Abdeckung und können deshalb missverstanden werden.

    Abb. 3: Detailseite eines Datensatzes: Titel und Beschreibung alleine liefern keinen Hinweis auf die geografische Abdeckung und können deshalb missverstanden werden.

    • Google findet Inhalte von opendata.swiss in der Regel nur, wenn explizit mit "open data" gesucht wird. Die plausibelste Erklärung: Die Inhalte sind auf anderen Websites (z.B. beim BFS) tatsächlich vorhanden und besser auffindbar.

    Google findet Inhalte von opendata.swiss in der Regel nur, wenn explizit mit "open data" gesucht wird.

    Abb. 4: Google findet Inhalte von opendata.swiss in der Regel nur, wenn explizit mit "open data" gesucht wird.

    • Datensätze im eigentlichen Sinn findet man oft nur, wenn man nach Excel oder CSV filtert. Die Format-Filter sind zwar hilfreich, sollten aber nicht notwendig sein, um Datensätze zu finden.
    • Die Schlagwörter sind nicht trennscharf und überschneiden sich mit anderen Zugängen. Zudem bilden die Schlagwörter sehr verschiedene Dimensionen ab, z.B. das Datenformat, die Inhaltsart, aber auch den geografischen Geltungsbereich.

    Die Schlagwörter der Kategorie Bevölkerung mischen Themen, geografische Gültigkeit und Dateneigenschaften.

    Abb. 5: Die Schlagwörter der Kategorie Bevölkerung mischen Themen, geografische Gültigkeit und Dateneigenschaften

    • Die interne Suche findet nur exakte Übereinstimmungen und kennt keine Synonyme. Eine hilfreiche Suche reagiert bei den Suchbegriffen bruttoinlandprodukt, bruttoinlandsprodukt und bip vergleichbar, oder weist den Nutzer zumindest auf Varianten oder Synonyme hin.
    • Wie die interne Suche die Relevanz bewertet, ist unklar. Beispiel mit dem Suchbegriff "miete": Die obersten Resultate betreffen Wohnungsbestand und Wohnungsstruktur, und nicht direkt die Miete. Die treffendere Mietpreis-Strukturerhebung hingegen kommt erst weiter unten. Wie diese Reihenfolge zustande kommt, ist unklar; Sie basiert wahrscheinlich einfach auf der Tatsache, dass das exakte Wort "Miete" im Titel der obersten Datensätze vorkommt.

    miete-suchresultate

    Abb. 6 Unklare Bewertung der Relevanz durch die interne Suche

    6 - Weitere Resultate: Duplizierung und Mehrsprachigkeit

    Zustätzlich sind uns die folgenden Punkte aufgefallen:

    • Organisations-Seiten, Filter und Schlagwörter überschneiden sich und führen zu Duplizierung. Beispiel: Daten des Kantons Thurgau sind auf mindestens vier verschiedene Arten zugänglich: Über die Organisations-Seite, über den Organisations-Filter Kanton Thurgau, über das Schlagwort thurgau, und über das Schlagwort kanton-thurgau. Dabei werden jeweils nicht immer dieselben Datensätze angezeigt. Das liegt nicht am Kanton Thurgau, denn andere Schlagwörter haben dieselben Probleme. Die Auswirkungen sind aber gleich: Es kann sowohl Nutzer wie auch Suchmaschinen verwirren, und auch dazu führen, dass wesentlich mehr Übersichtsseiten wie eigentliche Inhaltsseiten vorhanden sind.
    • Bei Datensätzen sind immer alle Sprachversionen sichtbar: Wenn ein Datensatz in mehreren Sprachen vorhanden ist, werden immer alle Sprachversionen angezeigt, was die Übersicht beeinträchtigt:

    Bei jedem Datensatz sind immer alle Sprachversionen sichtbar, was die Übersicht beeinträchtigt

    Abb. 7: Bei jedem Datensatz sind immer alle Sprachversionen sichtbar, was die Übersicht beeinträchtigt.

    • Die Schlagwörter scheinen nicht übersetzt zu sein. Auf der französischen Übersichtsseite Données findet man Schlagwörter wie gemeinden, kantonzuerich, bezirke. Das erschwert die Nutzung der Schlagwörter.

    7 - Verbesserungsvorschläge und weitere Arbeiten: Nutzerforschung, Inhaltsstrategie, Informationsarchitektur

    Basierend auf diesen Erkenntnissen schlagen wir die untenstehenden Massnahmen vor, mit den wirksamsten zuoberst.

    1. Strukturierte Interviews mit Datennutzenden und -Publizierenden, um eine Entscheidungsgrundlage zu besitzen. Mögliche Fragestellungen: Welche Daten erwarten die Nutzer, in welchen Formaten? Als Datei oder Service? Wie suchen die Nutzer? Wie kann man die Usability von Datensätzen verbessern? Wie kann die Veröffentlichung für Publizierende so einfach wie möglich gemacht werden?
    2. Inhaltsstrategie überarbeiten. Festlegen, welche Inhalte auf opendata.swiss sinnvoll sind, und welche nicht; Wie Datensätze beschrieben werden (Metadaten), und wie Schlagwörter genutzt werden.
    3. Informationsarchitektur überarbeiten. Inhalte, Navigation und Zugänge besser auf die Nutzerbedürfnisse zuschneiden. Neue Zugänge schaffen, z.B. Teaser für neue oder speziell wichtige Datensätze. Eine gute Informationsarchitektur hilft automatisch auch der Auffindbarkeit durch Suchmaschinen (SEO).
    4. Kuratierung. Gezieltes Publizieren und periodisches, manuelles Überprüfen und Bereinigen der Inhalte.
    5. Schlagwörter überarbeiten oder, falls nicht verwendet, deaktivieren. In ihrer aktuellen Form kann es sein, dass die Schlagwörter für die Nutzer nicht hilfreich sind. Falls sie überhaupt nicht zum Zugriff verwendet werden (sichtbar z.B. im Analytics), kann es sinnvoll sein, sie zu deaktivieren.
    6. Kontaktmöglichkeiten z.B. mit Formularen ausbauen, um einfacher Nutzerfeedback einzuholen. Dies ist insbesondere auf Datensatz- und Organisationsseiten sinnvoll.
    7. Separate Organisations-Seiten ohne Datensätze schaffen, damit sich die Organisations-Seiten funktionell nicht mit der Suche überschneiden.
    8. Beliebte Datensätze hervorheben, um explorative Suche zu erleichtern. Das kann z.B. mit Teasern auf der Startseite oder auf den Kategorie-Seiten geschehen.

    Dabei sind wir uns bewusst, dass opendata.swiss auf CKAN, einer Open Source Standardlösung, basiert. Dennoch ist es sinnvoll, Verbesserungsmöglichkeiten zuerst unabhängig von der Lösung zu ermitteln, um die Lösungsmöglichkeiten nicht von vornherein einzuschränken.

    Wir sind uns ebenfalls bewusst, dass wir bei diesem Review viele Dinge ausgeklammert haben, die wichtig wären. Dazu gehören insbesondere weitere Anwendungsfälle zur Datensuche, -Publikation oder -Verifikation, das Handbuch zu opendata.swiss, die Präsentation der Open Data Showcases, oder auch Aspekte wie Barrierefreiheit.

    8 - Methodik, Teil 2: Die Möglichkeiten und Grenzen eines UX Reviews

    Wir haben gezeigt: Ein UX Review liefert strukturiert die wichtigsten Usability-Resultate. Die Anwendungsfälle, die Analyse von Inhalten und Zugängen und die ersten Verbesserungsvorschläge dienen dazu, die weiteren Arbeiten zu priorisieren. Im Normalfall ist das Lieferobjekt auch nicht ein Blog-Artikel wie hier, sondern eine Präsentation mit detaillierten Slides.

    Was ein UX Review hingegen nicht kann: Wie eingangs erwähnt, basiert er auf der Erfahrung des UX-Experten. Diese kommt dem Benutzer zwar nahe, aber die echte Benutzerperspektive kann ein solcher Review nicht ersetzen. Deshalb ergänzt man ihn in der Regel mit Nutzerforschung, wie z.B. mit strukturierten Interviews und Kontextbeobachtungen.

    Wir machen das. Kontaktieren Sie uns.

    Weiterführende Informationen


    Vielen Dank geht an Oleg Lavrovsky für wertvolles Feedback zum ersten Entwurf.

    Dieser Artikel ist verfügbar unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International (CC BY 4.0) Lizenz.